
Original erschienen bei REFINERY29.
Auch wenn es bereits einige Wochen her ist, dass sich die Schlagzeilen zu dem Thema regelrecht überschlagen haben, so hat die Debatte bedauerlicherweise kein bisschen an Relevanz verloren. „Horror nach der Entbindung“, „Grausamste Praktik nach der Geburt“ oder „Schreckliches Geburtsritual“ sind nur einige Beispiele der haarsträubenden Überschriften, die allesamt dasselbe unfassbare Thema zum Gegenstand haben: die Praxis rundum den husband stitch. Der sorgt dieser Tage im Rahmen einer Diskussion um eine ohnehin angeschlagene Geburtshilfe im deutschsprachigen Raum für zusätzliches Aufsehen und klingt so abwegig, dass viele Frauen zurecht hoffen, es handelt sich dabei um einen Mythos oder einen Witz. Doch die traurige Wahrheit ist: Dieses absurde chirurgische Verfahren nach der Geburt ist leider alles andere als das (Achtung, Triggerwarnung)!
Aber was genau hat es mit dem husband stich (auch als daddy stitch bezeichnet) auf sich? Nun, bei einer vaginalen Geburt kann das Gewebe zwischen Vulva und After – der sogenannte Damm – aus verschiedenen Gründen reißen. Um das zu umgehen, führen Ärzte auch heute noch häufig einen vorbeugenden Dammschnitt durch, obwohl man längst den Standpunkt vertritt, dass ein spontaner Riss sehr viel besser verheilen kann. In beiden Fällen muss das Gewebe nach der Geburt jedoch genäht werden. Beim husband stitch macht der Arzt hier schlicht und ergreifend ein bis zwei Stiche mehr, um den Vaginaleingang bewusst enger zu machen – ein mehr als fragwürdiges „Geschenk" an den frisch gebackenen Papa. Das Absurde: Die Vagina selbst wird dadurch natürlich keineswegs enger. Unabhängig davon also, dass der Eingriff ohnehin großer Bullshit (entschuldigt die Wortwahl) und ein unerhört missbräuchlicher Eingriff ist, basiert er auch noch auf absolutem Unwissen über die weibliche Anatomie. Double-fail!
Sexismus macht auch vor dem Kreißsaal nicht Halt
Im Rahmen meiner Arbeit als Doula (also als Frau, die einer werdenden Mutter vor, während und nach der Geburt als emotionale und physische Begleiterin zur Seite steht) habe ich immer wieder mit Frauen zu tun, die glauben, Opfer dieser grausamen Praxis geworden zu sein – ob aus Kalkül oder Schlamperei (obwohl man bei einem „Stich zu viel“ wohl kaum von einer solchen sprechen kann) lässt sich nur schwer ermitteln. Eines ist nämlich leider auch Fakt: Einen husband stich bekommt eine Frau nicht einfach so und verlässlich diagnostiziert. Kaum ein Arzt wird sich soweit aus dem Fenster lehnen, einen Kollegen oder eine Kollegin (ja, auch Frauen praktizieren ihn) dieser grausamen Technik zu beschuldigen. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel, viele Frauen werden aber mit Kommentaren wie diesen abgespeist: „Sowas passiert eben manchmal im Krankenhausalltag, das war sicher keine Absicht“. Wären da nicht auch Frauen, die berichten, wie sich der behandelnde Arzt oder die behandelnde Ärztin dem Partner gegenüber noch stolz damit gebrüstet haben, dass der letzte Stich jetzt speziell für ihn sei.