
Original erschienen bei REFINERY29.
Eher zufällig stolpere ich auf Facebook über Oskars und Ninas Geschichte. Oskar ist 27 Monate alt und hat Trisomie 21. Nina, seine Mama, ist 29 Jahre alt. Dass Oskar anders als andere Kinder sein würde, hat sie erst in der 20. Schwangerschaftswoche (SSW) erfahren. Und doch entscheidet sie sich für ihn. Damit ist Nina eine von 800 Frauen. Dass das nicht selbstverständlich ist, zeigt die Statistik: 9 von 10 Kindern werden heute mit dieser Diagnose abgetrieben. Mit ein Grund, warum sie uns immer seltener begegnen.
Auch ich kenne in meinem direkten Umfeld niemanden mit Trisomie 21. Wenige Tage zuvor begegnet mir bei meiner Ankunft in Berlin allerdings ein junger Mann mit Down-Syndrom. Er freut sich so sehr über meinen dreizehn Monate alten Sohn, dass er uns den gesamten Heimweg begleitet. Er lacht auffällig viel, mehr als irgendjemand sonst, und ist so gar nicht reserviert. Meine Begleitung ist dennoch verunsichert. Ich kann es ihr nicht verübeln. Das Unbekannte bereitet uns für gewöhnlich erst einmal Unbehagen.
Das zu ändern, dafür kämpft Nina. Für sich und ihren Sohn Oskar, der später dieser junge Mann sein wird und in der Gesellschaft ohne Vorbehalte akzeptiert werden soll. Denn eigentlich fehlt Menschen wie Oskar nichts. Sie haben lediglich von einer Sache zu viel: das 21. Chromosom kommt ganz oder in Teilen dreifach vor. Menschen mit Down-Syndrom haben also zumeist 47 Chromosomen, anstatt nur 46. Nicht mehr und nicht weniger. Seit 2006 soll der 21. März – weil beim Down-Syndrom das 21. Chromosom dreimal vorhanden ist – als Welt-Down-Syndrom-Tag seinen Teil zu mehr Bewusstsein und Inklusion beitragen. Zu Tränen rührende Videos und Kampagnen setzen sich anlässlich dessen für mehr Verständnis ein und gehen seit Tagen viral: Eine schottische Mutter postet ein Video auf Facebook von ihrer fünf Jahre alten Tochter Chloe Lennon, die die Zuschauer auffordert, heute aus Solidarität ungleiche Socken zu tragen und damit die Herzen auf der ganzen Welt erobert. Der Beitrag hat bis jetzt über 13 Millionen Aufrufe und wurde weltweit mehr als 473.000 Mal geteilt. Auch ein ungewöhnliches „Carpool Karaoke“-Video sorgt für Aufsehen: 50 Mütter performen in Zeichensprache mit ihren Down-Syndrom-Kindern zu Christina Perris „A Thousand Years“. Sie wollen damit das Bewusstsein für das Thema Down-Syndrom stärken. Unter den Hashtags "wouldntchangeathing" und "wdsd18" stehen sie und andere Betroffene heute genau dafür ein. James Corden und Christina Perris zeigen sich auf Twitter gerührt. Trotz all der positiven Rückmeldungen ist die Diagnose Trisomie 21 für viele ein Schock. Während eine immer bessere Pränataldiagnostik die Früherkennung von Chromosom-Anomalien immer leichter macht, stellt sie die werdenden Eltern auch vor immer schwierigere Entscheidungen. Der Harmony-Test, eine Blutuntersuchung in der Frühschwangerschaft, bei dem auch das Geschlecht des Kindes bestimmt werden kann, schlägt mit knapp 600 Euro nicht nur ganz schön zu Buche, sondern verpasst es auch, Paare abzuholen, wenn er mit einem etwas weniger „harmonischem“ Ergebnis endet. Nina kennt das aus Erfahrung: „Schwangerschaftsabbrüche passieren nicht selten gerade in dieser Phase aus einem Schockzustand heraus. Viele sind nicht einmal darüber aufgeklärt, was die Diagnose Down-Syndrom eigentlich bedeutet. Es wird einem nur gesagt, bis wann man abtreiben darf. Niemand sagt ‚Jetzt schauen sie sich doch erst einmal an, wie das Leben mit so einem Kind ist.‘ Wenn die Kinder ein bisschen mehr in unserer Mitte wären, würden viel mehr von ihnen auf die Welt kommen dürfen, davon bin ich überzeugt.“
Und es klingt plausibel: Wenn Menschen mit Down–Syndrom besser in die Gesellschaft integriert würden, wäre es für Mütter nicht per se „unzumutbar“, ein „solches“ Kind auszutragen. Menschen mit Trisomie 21 sind nicht krank und alles andere als eine Zumutung für ihre Familien. Das ist auch die Intention von Ninas Kampagne „Glotz nicht so blöd, ich könnte auch dein Kind sein.“ Anlass genug, mal nachzufragen, wie es denn nun so ist – das Leben mit einem Down-Syndrom Kind.
Liebe Nina, Dein Sohn Oskar ist mit dem Down-Syndrom zur Welt gekommen, wie alt ist Oskar heute? Nina: Oskar ist im Dezember 2015 sechs Wochen zu früh auf die Welt gekommen. Er ist jetzt etwas über zwei Jahre alt.
Wann und wie hast Du erfahren, dass er voraussichtlich „anders“ wird? Per Zufall in der 20. Schwangerschaftswoche. Er hat keine auffällige Nackenfalte gehabt, das Organ-Screening war ebenfalls in Ordnung und auch sonst hat er sich gut entwickelt. Bis beim Doppler-Ultraschall [Anm. der Red.: „Der Doppler- bzw. Duplex-Ultraschall ist eine spezielle Ultraschall-Untersuchung, mit der die Fließgeschwindigkeit des Blutes in den Gefäßen der Schwangeren und des Babys gemessen wird“] plötzlich eine Unterversorgung des Babys angezeigt wurde. Daraufhin haben wir herausfinden müssen, woher diese kommt. Die letzte Möglichkeit im Ausschlussverfahren war eine Fruchtwasseruntersuchung. Natürlich habe ich gewusst, dass das eine Untersuchung auf Chromosom-Anomalien ist, folglich habe ich mich auch schon vertraut gemacht mit Down-Syndrom. Zumindest wusste ich zu dem Zeitpunkt bereits mehr, als man das üblicherweise tut. Zwei Tage nach der Untersuchung hat dann die Assistentin vom Arzt angerufen, dass wir bitte vorbeikommen mögen. Der Arzt hat uns dann recht unliebsam mit der Diagnose vertraut gemacht, er hab eine schlechte Nachricht, unser Kind habe einen Mongolismus.
Was waren Deine ersten Gedanken? Ehrlich gesagt hat mich die Art und Weise, wie er das verkündet hat, fast mehr aufgeregt als die Diagnose an sich. Ich hatte mich ja schon ein bisschen damit befas